Workshop Künstlerportrait



Herzlich willkommen in unserem online-workshop, in dem ich Ihnen anhand einzelner Arbeiten einen Künstler der Galerie vorstellen oder Aspekte zeitgenössischer Kunst erläutern möchte.




Heute wollen wir uns dem KONZEPTKÜNSTLER JOACHIM KUPKE (geb. 1947) zuwenden und die Art seiner Bildgestaltung näher betrachten. Mit seiner "Kunst über Kunst" erweist er sich als Anhänger des künstlerischen Konzepts der Avantgarde und Anhänger ihres Protagonisten Marcel Duchamp. Durch die Appropriation tradierten Bildmaterials, die Demontage der originären Bildkonstruktion und das Herauslösen einzelner Bildmotive, die Kupke in freier Kombination mit abstrakten Flächenformen zu einer eigenen Bildsprache entwickelt, entstehen "inszenierte" Arbeiten, die nicht nur provozieren, sondern vom Betrachter ein völlig "neues Sehen" einfordern. Das neue Werk vollendet sich erst im Kopf des Rezipienten.


Kupke Aperto 1 Kupke Aperto 2 Kupke Aperto 3 Kupke Aperto 4 Kupke Aperto 5



Corrected Readymades-Peintagen
Kupke Kupke Kupke Kupke



Korrigierte Original-Graphiken
Kupke Kupke Kupke



KUNST.FRAUEN. Katalogtext zu Arbeiten von Joachim Kupke   August 2003

Was hat ein Schmetterling von Jeff Koons mit dem Gesicht von Rogier van der Weyden zu tun, ein pop-iger Reklame-Mund mit der Madonna von Giovanni Battista Salvi, ein Streifenraster mit der Spitzenklöpplerin von Vermeer?
Die Arbeiten von Joachim Kupke drängen Fragen wie diese geradezu auf, weil sie all jene Rezipienten verunsichern, deren Kunstbegriff von der Wahrnehmung erfüllter ästhetischer Normen bestätigt wird. Sie entlarven aber den Fragenden als konservativen Museumsgänger, der seine ästhetischen Prinzipien an der Einheit des „Werkes“, an „Motiv“, „Form“ und „Gestaltung“ festmacht, nach einem narrativen Bildinhalt sucht, sich am kunsthistorischen Wissen über das Original orientiert und originäre Bildschöpfung und Authentizität mit einer Aura verbindet. Denn der Betracher ist angezogen von dem, was er sieht, geschockt von dem, was er wahrnimmt und provoziert von dem, was er erkennt: museal anerkannte, kanonisierte Kunst wird zur Verfügungsmasse des Bildkünstlers.
Die ästhetische Irritation, eine Anziehung durch Identifikation bei gleichzeitiger Distanzierung durch Reflexion, die Kupke mit seinen Werken erzeugt, wird bildimmanent konstituiert und visualisiert. Durch die „korrigierende“ Überarbeitung wird die Appropriation als punktgenaue Wiedergabe anerkannter Kunstwerke nicht zur Kopie, sondern Träger einer Information, die einen Diskurs über das „Original“ eröffnet. Das genaue Hinsehen, das Kupke erzwingt, ist kalkuliert, ein Déja-vue markiert den Beginn eines Reflexionsprozesses.
Die Dekonstruktion originaler Bildzusammenhänge durch Verschiebung, Spiegelung, Fragmentierung, die Dekomposition inhaltlicher und gestalterischer Bezüge durch Überarbeitung oder Ergänzung ist die Methode, mit der Kupke eine von tradierten Sehgewohnheiten geprägte Kunstwahrnehmung zu erschüttern versucht. Die aus ihrem historischen und kompositionellen Kontext herausgelösten Einzelmotive werden verfügbar wie Readymades und, ihrer auratischen Erhabenheit entblößt, als Bildelemente in einen ungewohnten Zusammenhang gebracht.
In der Mehrheit der als Vorlagen ausgewählten Portraits, insbesondere bei Vermeer, ist die Hinwendung auf ein Objekt thematisiert. An zentraler Stelle jener Bilder ist ein offener, versunkener, verschlossener oder nach innen gerichteter Blick, sind Augen das Motiv. Durch die Isolierug von Teilen oder Überarbeitung des ganzen Originals wird der Kontext des im Portrait gefaßten Augenmotivs dem Betrachter optisch entzogen, seinem Erwartungshorizont aber gleichzeitig ein „Ersatz“ präsentiert, der den narrativen Gehalt des ursprünglichen Bildes eliminiert. Konstruktive Merkmale, die auf etwas verweisenden Anteile des Einzelmotivs wie die Blickrichtung, Haltung oder Attribute werden jedoch insoweit aufgegriffen, als sie Quelle der Inspiration für die weitere Bearbeitung sind: mit freien Formfindungen, geometrischen Flächenformen oder erneuten Portrait-Zitaten wird der veränderte Originalaspekt formal ergänzt und so erneut die Wahrnehmung herausgefordert. Das Anliegen des Künstlers wird besonders in Arbeiten aus der Aperto-Serie ( z.B. Aperto 5 ) deutlich, in denen inhaltsgebundene und frei gestaltete Bildpartien in einer ausbalancieren Komposition zusammengefügt werden, sodaß sie formal zu gleichwertigen Bildteilen werden. Die inhaltliche Entlastung der figurativen Bildmotive zugunsten einer reinen Formalisierung, die Überführung ihrer Bedeutungsträger in rein ästhetische Kriterien vollzieht sich im Bild durch Neutralisierung vor einem Hintergrund, der jeden kontextuellen Bezug aufhebt.
Signifikante Einzelmotive bekannter Bildwerke werden auf diese Weise zu einem „icon“, einem ästhetischen Code, das durch spezifische Lineamente und Flächenformen charakterisiert ist. Die Kunsthaftigkeit von Kunst hängt für Kupke nicht länger an Bild-Inhalten, an der Affirmation gestalterischer Normen oder einer Aura sondern an ihrem ästhetischen Appell an die Offenheit und Phantasie des Betrachters, dessen eigenes kreatives Potential im Prozess der Rezeption des Gesehenen aktiviert wird. Im Medium seiner Malerei gelingt es dem Künstler etwas zu thematisieren, das im ausserbildlichen Bereich seinen Platz hat und die Bedingung von Kunst überhaupt ist, ihre conditio sine qua non: die Erregung des ästhetischen Empfindens, die Sensibilisierung der Sinne als Voraussetzung jeder Kreativität.
Im künstlerischen Konzept der Avantgarde, insbesondere bei ihrem Protagonisten Marcel Duchamp, wird durch die Abwertung des schöpferischen Künstlergenies und der Vermittlung von Bedeutung das formale Erscheinungsbild des Werkes aufgewertet und dadurch die Beziehung Werk – Wahrnehmung neu motiviert.
Kupke geht noch einen Schritt weiter. Die Verselbständigung des Werkes, die Autonomie ihrer Mittel vorausgesetzt, sind seine Arbeiten Bilder, die im Prozess der Rezeption mit dem Betrachter im Betrachtenden entstehen. Der Künstler ist nicht länger „Schöpfer“ einer Bildidee, er ist Arrangeur einer inventio, einer „Bilderfindung“ und tritt als Persönlichkeit an den Rand. Um zu affizieren entwickelt Kupke auf der Basis seines Bildvokabulars eine kombinatorische Bildsprache, die ihre innere Spannung aus der Konfrontation formaler Gegensätze aufbaut. Als Künstler ist er der einem Regisseur vergleichbare Agent, der sich durch Appropriation tradiertes Bildmaterial aneignet und es durch „inszenierte“ Wiedergabe neu zur Anschauung bringt.
Für Kupke ist „das Neue“ nicht das noch nie Gesehene, sondern gleichbedeutend mit dem Aufdecken von Differenzen, dem Sichtbarmachen von Unterschieden, die sich im Rekurs auf die Seherfahrung des Rezipienten zwischen dem Original und seiner Wiederverwendung ergeben. Als „Original“ bringt Kupke zwei verschiedene Bildträger ins Spiel. Für sich selbst die objekthafte, reale Vorlage, sei es Originalgraphik oder Druck, die er bearbeitet, für den Betrachter das virtuelle Gedächtnisbild des Originals im Betrachter. Im Ereignis des unwillkürlichen optischen Vergleichs zwischen virtuellem und konkretem Bild vollzieht der Rezipient in der Wahrnehmung der Differenz den kreativen Prozess des Künstlers nach. Das Neue ereignet sich für den Betrachter in der Reflexion.
Der Prozess der Wahrnehmung, initiert durch die neue Ästhetik, kulminiert im Erfassen der Portaitelemente als Zitate von Bildnissen, in denen der Blick, seine Wendung hin zu, sein Gerichtet-sein auf etwas die zentrale Bildaussage sind. Mit der Erkenntnis der Parallelität der Handlung ist der Betrachter im Bild. Er richtet, wie jener, sein Betrachten auf ein Gegenüber.
Charakteristisch für die Bilder von Joachim Kupke ist eine Struktur der Koinzidenz von Gegensätzen: der performative Charakter ihrer Bildkomposition bei gleichzeitiger Qualifikation als autonomes, konkretes und zweidimensionales Kunstwerk, der Aufbau einer neuen Bildästhetik bei gleichzeitigem Rückgriff auf schon affirmierte ästhetische Positionen, das Infragestellen anerkannter Kunstwerke durch Zertrümmern der tradierten Bildeinheit, bei gleichzeitiger Restauration der Bildeinheit durch ponderierte Komposition und spannungsvolle Gestaltung, das Einsetzen figurativer Malerei mit narrativen Aspekten bei gleichzeitiger Eliminierung alles Narrativen und Reduktion des Gegenstandsbezugs auf rein visuelle, formale Codes, das Aufrufen des Phänomens Zeit im Zitieren historischer Werke bei gleichzeitiger Negation der Zeit durch ein stilistisches cross-over, Rätsel und Auflösung zugleich.
Kupkes beschreibende Bildtitel weisen dem irritierten Betrachter einen Ausweg und lassen in der Ironie Identifikation und Reflexion in sich zusammenfallen.Der Künstler löst sich damit aus dem von ihm selbst initiierten „Spiel“ und entläßt den Betrachter aus seinem emotionalen Engagement.
Kupkes Kunst über Kunst ist Kunst, die Kunst im Medium der Kunst erfahrbar macht.

Veronika Burger


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