Anja Eberhardt - Amerika, Amerika
Ausstellungseröffnung in der Galerie am Pfleghof in Tübingen, 17.3.2002



  Sehr geehrte Damen und Herren,
diese Ausstellung kehrt uns Betrachtern auf den ersten Blick ihre Bonbonseite zu: heitere Farben und klare Formen, die eine Erinnerung an die 50er und 70er Jahre wachrufen. Aber die Heiterkeit der farbigen Begrüßung verfliegt schnell, wenn der zweite Blick länger auf den Arbeiten ruht. In Grasgrün und Rosa handelt die Künstlerin von Einsamkeit, Gewalt und Tod, von Geschlecht, Macht und Medien. Die blaue Weite des Horizonts wird zur beklemmenden Leere des Bildes. Edward Hoppers frühe Arbeiten scheinen Modell gestanden zu haben, in ihrer eindrücklichen Verknüpfung von Weite und Verlorenheit. Anja Eberhardt gelingt es, mit einem vertrauten Vokabular Irritationen zu provozieren. Sie arbeitet ausschließlich figürlich und macht den Menschen und die von ihm geschaffenen Dinge zu Trägern von Aussagen und Empfindungen. D.h. allerdings keineswegs, dass sie Bilder purer Abbildlichkeit schafft. Vielmehr evoziert die Künstlerin mit der Verknüpfung von disparaten Elementen in einem häufig unbestimmbaren Raum eine leicht surreale – und häufig auch bedrohliche – Atmosphäre. Sie nutzt das aggressive Potential der Bonbonfarben, um uns einen Spiegel vor zu halten.
   Auf dem Bild „Dharma Bum„ (2001) steht ein im Verhältnis zu den Autos viel zu großer junger Mann, Hände in den Taschen, Blick aus dem Bild heraus auf die Betrachter. Hinter dem jungen Mann erstreckt sich ein graues Straßenband in radikaler Verjüngung in einen fernen Horizont, wo es sich ohne Ziel verliert. Diesem Straßenband entlang sind drei Autos unterwegs, mit blinden Scheiben, als autonome Objekte, die keines menschlichen Befehlsgebers mehr bedürfen. Auf den Autodächern kleben die Versatzstücke einer grandiosen aber völlig kommerzialisierten Naturkulisse von Felsformationen. Damit verschmilzt die Fortschrittlichkeits- und Beweglichkeitsikone, die Modernitätsikone par excellence, das Auto, mit der ‚Natur’, die es erlaubt zu erschließen. Diese hat allerdings ihren originären Charakter aufgrund endloser Besichtigungskarawanen längst verloren. Der junge Mann sieht eher hilflos und einsam aus, eher Opfer als Täter. Das Bild ist nach einem Roman Jack Kerouacs betitelt. Der Kult-Autor der 70er Jahre beschreibt seine Helden - genau wie Peter Fonda and Dennis Hopper ihre Easy Rider geben - als rastlos Suchende. Während die Figuren dieser Beat-Generation immer in Bewegung sind, hat sich bei Anja Eberhardt das Auto emanzipiert und lässt den jungen Mann abseits, in der Leere des Bildraums. Autos üben bei ihr einen Mobilitätszwang aus, der Isolation und Erstarrung von Gefühlen bedeutet.
   Wie fremd die Menschen der Erde geworden sind, wird in den von Anja Eberhardt so genannten „Grasshoppers„ deutlich, den ‚grünen Männchen’, die als Rasen-Wesen für eine bereits sehr beschnittene Natur stehen. Sie haben sich als Gefühls-Schatten von ihren Menschen-Brüdern gelöst und erleiden als „Peter Greens„ einen „sudden death„ oder bedrohen ihre Existenz mit den Rasenmähern, die sie vor sich her schieben. Ihre Beschnittenheit, ihre Fragilität, ihre latente Bedrohung durch eine immer präsente Endlichkeit machen sie zur Essenz der Menschen, die gerade mit diesen Aspekten ihres Daseins nicht mehr umzugehen wissen. So wie die Menschen fremd, so ist das Auto ‚vermenschlicht’ in „Planet Earth„ (2002). Dort wachsen die Blechkisten geradezu aus dem Rasen, auf dem sie geparkt stehen. Mit leuchtend roten Helmen bewehrt beobachten zwei Grasshoppers das Geschehen – aus einer beleuchteten Form, die gleichermaßen eine Autokinoleinwand sein kann, wie ein Fenster im All. Die ‚grünen Männchen’ sind hier zu veritablen Marsmenschen geworden –es gibt keinen Ort mehr für Peter Greens auf dieser Welt.
  Anja Eberhardts Bildausschnitte wirken häufig wie Filmeinstellungen. Sie thematisiert die Artifizialität unserer Rezeption der Umwelt, die ununterbrochen von Bildern geformt wird. Sie betrachtet die Natur zwar auch selbst, first hand also, – und leugnet ihre Ergriffenheit nicht. Aber vor allem thematisiert sie die mediale Verwertung eben dieser Natur, die von spektakulär zu Spektakel wird und nur als visuelle Ikone überlebt– wie auf dem Bild, das den Betrachter vor dem Riesenbildschirm der „Twin Pants„ (2000) zeigt. Tausend Mal fotografiert, gefilmt, verwertet ist die Natur selbst zum Bild geworden. Sie ist gebannt in die Unbeweglichkeit, Harmlosigkeit und Künstlichkeit – wie das Aquarium mit Kugelfisch und Kaktus in „Konferenz„. Die Betrachter werden dabei als Voyeure entlarvt, die unfähig sind zur Kommunikation.
   Die Unmöglichkeit des miteinander Sprechens, aber auch die Unmöglichkeit der Darstellung unserer Welt in (Bild)Sprache beschäftigt Anja Eberhardt auf vielerlei Weisen. Sie thematisiert die mediale Brechung unserer Welt: über Fernsehmattscheiben flimmern Bilder in leere Räume, Gesichter brechen sich in Spiegeln, Worte nehmen konkrete Gestalt an. In den Bildern wie „Smashin Pumpkin„ (1998), „Verfahren„ oder „Radio-Alarm„ (1998) wird eine Brutalität deutlich, die sich gleichzeitig nur in der Medialität bannen lässt und von der Medialität ausgeht. Der Boxer auf dem Bildschirm in „Smashin Pumpkin„ will sich an den einladenden Rundungen des ‚natürlichen’ Kürbis vergreifen, ist aber in seiner Bildröhren-Nicht-Existenz völlig machtlos, ja sogar selber bedroht. Der Panzer, der in „Radio-Alarm„ in voller Realität aus dem Radioapparat heraus fährt, steht für einen ganz realen Krieg, hier für den Golfkrieg, für die Aggressivität der Kriegsberichterstattung und für die Unmöglichkeit, mit medialer Vermittlung den wirklichen Horror spürbar zu machen. Die Medien machen bei Anja Eberhardt. gleichermaßen harmlos, wie sie verharmlosen: So stehen die Meta-Bilder auf den Bildern für die Distanz, die wir zum Denken benötigen, die uns schützt, die uns aber auch hilfloser und gefühlsärmer macht. Suggerieren die klaren Formen der Bilder zunächst Stabilität, macht der zweite Blick deutlich, dass gerade die Form-Dinge das Bildgefüge aus der eindeutigen Räumlichkeit lösen und zum Verschwimmen bringen. In „Radio-Alarm„ schweben Monitor-Nierentische durch den Raum, der Boden löst sich in türkisfarbenen Kacheln auf, der Tisch hängt über dem Bodenlosen in der Luft. Hat man einmal Notiz genommen von diesem Schwebezustand auf den Bildern, findet er sich immer wieder: ein Zeichen der Unsicherheit, der Instabilität von Identitäten. Es ist auch diese fehlende Verankerung, die in den Bildern Anja Eberhardts eine Gewalt sichtbar werden lässt, die nicht nur ein Phänomen von Extremsituationen ist. Sie lauert vielmehr überall im Alltag, ohne überhaupt mehr richtig wahrgenommen zu werden. So taucht in „Unser Junge„ (2002) ein Panzermobile auf und das Braut-„So far„ ( ) ist mit Hubschraubern gespickt. Und es ist vor allem die Beziehung der Geschlechter, die Anja Eberhardt voller Gewalt charakterisiert. Die Gefühlsstarre ihrer Figuren nimmt sogar auf dem urgemütlichen deutschen Sofa Platz („Knautschzone„, 1998) – die Gesichter nur noch Sofakissen, das ist eine glänzende Metapher für zwischenmenschliche Sprachlosigkeit, für eine Erstarrung, die keine Unterscheidung mehr zwischen Dingen und Menschen zulässt. Die Gewaltsamkeit einer gesellschaftlich erzwungenen Idylle wird vorgeführt – bedenken Sie vor allem, dass die Kerbe noch ins Kissen geschlagen werden muss! Aber auch ironisch gebrochen führt die Künstlerin das Verhältnis der Geschlechter vor, mit zum Bild geronnenem Sprachwitz. In „Kampfanzug„ (1999) geht der Schatten eines Grasshoppers auf Frauensuche – ein gepunkteter und ein gestreifter Bikini geben die Objekte der Großwildjagd. Tiger und Leoparden sind von der Modeindustrie gezähmt und körperlos – aber mit Körbchengröße D – an die Wäscheleine gehängt. Geschlechterverhältnis ist hier Versatzstückrepertoire: Die Jagdmetapher als kämpferische Auseinandersetzung mit potentieller Todesfolge. Weiblichkeit als ‚tierisch’. Und die Zwänge der Modeindustrie, die in letzter Konsequenz die wirklichen Frauen-Körper zum Verschwinden bringt. Diese brutalen Komponenten bringt die Künstlerin in einer Form zusammen, die uns Betrachtern das Schmunzeln erlaubt –wahrlich eine Leistung!
   Anja Eberhardt schafft es, in ihren Bildern Geschichten zu suggerieren, die in der Phantasie der Betrachter weiter gesponnen werden können. Sie liefert Bruchstücke, evoziert eine Atmosphäre, bietet eine Identifikationsmöglichkeit. Fast wie in einem Comic-Strip entwickeln sich einige ihrer Bildererfindungen zu Serien, die Grundsteine von Geschichten sein können. Mit vielen Comics teilen die Figuren von Anja Eberhardt auch, dass sie komisch und tragisch zugleich sind. In den Arbeiten der Künstlerin ist eine moralische Instanz reaktiviert, die in der postmodernen Beliebigkeit nicht häufig zu finden ist. Sie fragt wieder nach der Wahrheit von Beobachtungen und Gefühlen, ohne die Erkenntnis zu leugnen, dass beides subjektive Größen sind, deren Repräsentation keine verbindlichen Formeln hat. Aber vor allem gestatten es ihr ihre Bildmittel, gesellschaftskritische und moralische Aussagen so darzustellen, dass sie nicht pathetisch werden, keinen Zeigefinger heben, sondern entweder in der leichten Bedrückung oder im Schmunzeln uns Erkenntnis gewinnen lassen.

Dr. Maike Christadler

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